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Glauben in der Tat

Wenn das Selbstverständliche einfach wegfällt, dann stellt sich die Frage nach dem Wesentlichen. So viel Selbstverständliches vermissen wir schmerzhaft in diesen Corona-Zeiten: Treffen mit Freunden und in der Familie, Feiern, Ausgehen, einen geregelten Alltag, Reisen, Nähe und Körperkontakt, die Freiheit, zu tun und zu lasen, was man will, eine planbare Zukunft...

Auch im kirchlichen Leben fällt Selbstverständliches aus: Die Treffen in den verschiedenen Gruppen vom Pfarrgemeinderat bis zur Jugendgruppe, vom Trauertreff bis zum Fastenessen. Besonders schmerzlich fehlen vielen die gemeinsamen Gottesdienste, gerade jetzt in der Fasten- und Osterzeit mit den vielen Liturgien vom Kreuzweg über die Frühschicht bis zur Osternacht.

Was selbstverständlich in unserem Leben und in unserem Glaubensleben war, kann für viele Wochen nicht stattfinden. Doch Leben ist mehr als die Freiheit zu Reisen, auszugehen, Karriere zu machen und zu tun und zu lassen, was man will. Und Glaube ist mehr als die Gemeinde-Aktivitäten am Laufen halten und Gottesdienste.

Genau so wesentlich für das eigene Christsein wie der Gottesdienst in der Kirche (Liturgie) ist die tätige Nächstenliebe (Diakonie). Genau so wesentlich wie das Gemeinschaftsleben (Koinonia) ist es, im Glauben zu wachsen und ihn zu bezeugen (Martyria). Wenn Liturgie und Koinonia derzeit in den Hintergrund treten müssen, umso mehr tritt nun der Glaube in der Tat in den Vordergrund und die eigene Verantwortung für mein Glaubensleben - für mich selbst und in der eigenen Familie.

In beidem setzt die Krise viel Kreativität frei: Die Kerzen, die abends in vielen Fenstern brennen und Nachbarn im Gebet und in der Hoffnung verbinden, die Familien, die am Sonntag zum Gebet, am Gründonnerstag zum Brotteilen und am Ostersonntag zum Entzünden der Osterkerze und zum Osterfrühstück zusammenkommen, und die Kinderkircheteams, die dafür Vorschläge erarbeiten und verteilen.

Ebenso kreativ sind die Menschen im Bereich des sozialen Engagements: von Einkaufsangeboten, dem Corona-Babbelfon, dem Aufrechterhalten von Hilfsangeboten wie Essen auf Rädern bis zur Idee, meiner Lieblingskneipe und meinem Frisör einfach das Geld zu überweisen, das ich in normalen Zeiten dort ausgegeben hätte. Und so lange wie letzte Woche habe ich noch nie beim Blutspenden anstehen müssen, weil so viele da waren.

Thomáš Halík sieht in den leeren Kirchen dieser Wochen ein Zeichen der Zeit, das uns die Augen öffnen kann, über den Zustand unserer Kirchen in einigen Jahren. Sie werden ja schon jetzt dramatisch immer leerer. Die Krise stellt uns so die Frage nach dem Wesentlichen unseres Glaubens. Stärken müssen wir auch in Zukunft, was wir schon jetzt in der Krise brauchen: Die persönliche Glaubensvertiefung und die eigene Verantwortung, unseren Glauben zu leben, gerade in der Tat.

Die Chance der Krise könnte sein, dass wir uns auf das Wesentliche besinnen. Dass sich im Leben am Ende nicht „Höher - Schneller - Weiter“, die Jagd nach Geld und der Einsatz des Ellenbogens zählt, sondern Solidarität und Mitmenschlichkeit, Entschleunigung und Teilen. Und dabei könnte der beschriebene Glaube „in der Tat“ helfen, meine ich.

Marcus Schuck, Pastoralreferent

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